Canal du Midi 1997
Die zweiwöchigen Herbstferien wurden von der Ruderjugend für eine Fahrt auf dem Canal du Midi in Südfrankreich genutzt. Er verbindet den Atlantik mit dem Mittelmeer. Nach zweieinhalbtägiger Anreise per Auto und einer Übernachtung in der Jugendherberge von Clermond-Ferrand (mit dem Charme eines Gefängnisses) erreichten wir Les Mas d'Agenais, etwa 150 Kilometer südöstlich von Bordeaux.
Von hier starteten wir mit unseren Ruderbooten ostwärts, Richtung Mittelmeer. Als Quartier hatten wir ein Hausboot gemietet, das von zwei Müttern unserer Jugendlichen gefahren wurde. Leider hatte es gleich beim Start einen Motorschaden, so daß wir erst einmal ohne Begleitung rudern mußten. Um dem Hausboot eine Chance zu geben, uns wieder einzuholen, machten wir einen Abstecher in einen kleinen Fluß, die Baise, die den Kanal kreuzt. An einem frühmittelalterlichen Städtchen mit erhaltener Stadtmauer machten wir Rast und bewunderten die Sehenswürdigkeiten. Leider traten hier schon beim Bestellen von Eis die ersten Probleme mit der französischen Sprache auf (verdammt was heisst “Kugeln”?). Zurück am Kanal, trafen wir tatsächlich auf das Hausboot.
Die nächsten Tage verliefen weitgehend reibungslos, wenn man von wiederkehrenden Diskussionen mit den Schleusenwarten absieht, ob und wie solche eigenartigen Boote wie unsere geschleust werden dürften. Leider gibt es in Frankreich eine Vorschrift, die besagt, daß nichtmotorisierte Wasserfahrzeuge nur ohne Besatzung zu schleusen sind. Da die Schleusentore jedoch Sieben glichen und entsprechende Strömungen in den Schleusen auftraten, wollten wir kein Risiko eingehen. Erstaunlich, daß die meisten Schleusenwarte den Unsinn ihrer Vorschrift einsahen und uns trotzdem schleusten, das restliche Drittel zehrte aber an den Nerven. Da die Schleusen außerdem nur von 8 bis 18 Uhr geöffnet waren (inklusive einer Stunde Mittagspause), rätselten wir ständig, ob das Etappenziel überhaupt noch zu schaffen sei.
Als zusätzliches Handicap erwies sich das Geschick der Steuerleute zahlreicher Hausboote, die uns begegneten. Diese Boote dürfen nämlich ohne Führerschein gefahren werden. Unsere Fahrerinnen hatten zwar einen Motor-bootführerschein, aber ebenfalls Probleme mit der Beherrschung des 14 Meter langen Schiffes. Speziell mit der Kenntnis des Massenträgheitsgesetzes war es nicht weit her. “Was das Hausboot steht nicht, wenn ich den Motor abstelle?” Ein vor einer Schleuse quer stehendes Hausboot ist schon ein bisschen peinlich.....
Die erste Woche führte uns immer bergauf (ca. 50 Schleusen) durch eine relativ flache Landschaft. Außer zahlreichen kleinen Orten am Ufer waren besonders die Aquädukte des Kanals über mehrere große und kleine Flüsse sehenswert.
Einen Abend kurz vor Halbzeit feierten wir zusammen mit einigen Hamburger Ruderern, die ebenfalls eine Hausbootfahrt machten (ohne Ruderboote). Da sie am folgenden Tag heimreisten, überließen sie uns ihre Lebensmittelvorräte. Wir wußten zunächst gar nicht, wo wir die ganzen guten Sachen lagern sollten.
Der letzte Tag - vor dem Bootswechsel auf halber Strecke - brachte uns anhaltenden schweren Landregen, so daß die Stimmung etwas gedrückt war, als wir in Castelnaudary ankamen.
Den kulturellen Höhepunkt der Fahrt, die Stadt Carcasonne, erreichten wir einen Tag später: Eine mittelalterliche Festungsstadt, auf einem Hügel gelegen und von mehreren vollständig erhaltenen Mauerringen umgeben. Angesichts der Türme und Zinnen glaubte man, Darsteller in einem Historienfilm zu sein. Beim Blick vom Wehrgang erstreckte sich vor uns eine wunderschöne Landschaft.
Die folgenden Tage ging es, vorbei an Weinfeldern und Obstplantagen, abwärts. Endlich mal genug Vitamine für die Ruderer. Glücklicherweise identifizierte unser Zehlendorfer Wohlstandskind Benedikt die gerade vom Baum gepflückten Früchte, dem Rest waren sie völlig unbekannt.
Der Kanal lief in vielen Windungen immer über Hügelkämme, so daß man nach links und rechts in weite Täler blicken konnte, hinter denen sich hohe Berge erhoben. Ein eigenartiges Gefühl, aus dem Ruderboot in ein Tal hinunterzusehen. Unterhalb einer alten Römerfestung legten wir wieder einen "Kulturstopp" ein, liefen auf den Festungsberg, betrachteten die freigelegten Ruinen und genossen die Aussicht.
Kurz darauf erreichten wir Beziers, und hier trat ein, was wir die ganze Zeit befürchtet hatten: Der Schleusenwart lehnte jede Diskussion ab, so daß wir die siebenstufige Schleusentreppe umtragen mußten. In der dritten Kammer überholten wir unser Hausboot zu Fuß. Leider spielte dessen Hydraulik verrückt (die Maschine lief rückwärts, obwohl sie vorwärts hätte laufen müssen). Die Folge war, daß ein Besatzungsmitglied baden ging. Zum Glück wurde niemand verletzt. Da wir uns sowieso die Sehenswürdigkeiten von Beziers ansehen wollten, blieben wir über Nacht, nachdem ein herbeigerufener Techniker das Hausboot repariert hatte.
Die Stadt erwies sich allerdings als übel. Völlig heruntergekommene Häuser, sehr eigenartiges Publikum, Autowerkstätten, die den Verdacht aufkommen ließen, daß hier gerade illegal erworbene Autos umgespritzt würden. Augenscheinlich traute sich auch nach Einbruch der Dunkelheit niemand mehr auf die Straße, wie unter nächtlicher Ausgangssperre. Angesichts dieser Umgebung trauten wir uns nur in unserer ältesten Ruderkleidung zu McDonalds. An der Eingangstür wurden wir deshalb von einem Security-Mann mißtrauisch gemustert. Auf dem Weg war eine grössere Gruppe, die uns entgegenkam, auf die andere Strassenseite gewechselt. Wir waren nur zu dritt. Anscheinend war unser Outfit angemessen.
Am nächsten Tag hiess das Ziel Mittelmeer. Nach längerer Diskussion mit ein paar Schleusenbeamten “durften” wir unsere Boote durch eine kreisrunde Schleuse an langen Leinen führen. Leider war über der Ausfahrt eine Brücke, so dass Benedikt und Stefan am Tor herunterklettern mussten, um die Boote aus der Schleuse zu rudern. Schleusen mit Besatzung ist also gefährlich und verboten, klettern am Schleusentor nicht.....Die spinnen die Gallier! Über einen Flussarm erreichten wir in den Ruderbooten das Meer. Das Hausboot hatten wir am Zielhafen des Verleihs zurückgelassen. Nachdem mir die schützende Mole der Flußmündung hinter uns gelassen hatten, trafen uns anderthalb Meter hohe Wellen. Da sie aber sehr lang waren. stellte das außerhalb der Brandungszone kein Problem dar. Nur, wie durch die Brandung kommen? Während der "Vänern" ohne Probleme anlandete, wurde das zweite Boot in der Brandung versenkt. (ein Langtuurstyrmann ist doch manchmal hilfreich) Nachdem wir Boot, Material und Leute gerettet und die Sachen zum Trocken aufgespannt hatten, gingen alle erst einmal baden - dieses Mal freiwillig.
Am Abend verluden wir die Boote. um am nächsten Morgen den Rückweg nach Berlin antreten zu können. Einige legten Zwischenstopps in der Camargue ein, wo wir die Fortsetzung des Canal du Midi bewundern durften (er führt bis zur Rhône). Aber das vielleicht ein anderes Mal.
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