Berlin-Oder-Berlin – Du hast keine Wahl! – Teil I der Qual (Fahrtbericht von Katrin)
Teilnehmer: Stefan Biastock, Martina Jagsch, Philip Sapora, Niklas Sapora, Reyk Forsten,
Wolfgang und Katrin Schirp mit Karsten (7), Malte (5), Anke (3)
Mittwoch, 23. Mai 2001
Gut, wir geben zu, dass auch wir als Teilnehmer der Fahrt eine gewisse Verpflichtung gehabt hätten, uns vorab ein wenig über die Planung der Fahrt zu informieren, aber... Nun denn, jedenfalls traf uns der Schlag, als Stefan uns nachmittags wissen ließ, dass wir am Abend erst einmal 38 km rudern sollen. Ich selbst war recht optimistisch angesichts des frühsommerlichen Wetters, aber Wolfgang fiel aus allen Wolken: Oberschöneweide, das ist ja ganz im Osten von Berlin! Während die übrigen Fahrtteilnehmer schon einmal losruderten, kam Wolfgang ganz erschöpft aus dem Büro nach Hause. Er warf Hut und Mantel, Schlips und Kragen von sich, packte seine Reisetasche und stieg tapfer in seine unsägliche Ruderhose. Schnell noch die versprengten Kinder eingesammelt und auf zum Bootshaus!
Doch wozu die ganze Eile? In aller Seelenruhe war Stefan noch ein bisschen mit Anfängern auf Wasser gegangen. Zugegeben, da hatten wir kurzfristig ein Problem mit unseren Nerven. Unsere beiden Jüngsten sollten doch in seiner Obhut vor Wasserschäden, Nahrungsmangel, Sturzgefahr und Klo-Unglücken (just windelfreie Anke) bewahrt werden! Schließlich war er da, und wir hätten in die “Geirangerfjord” springen können, wäre da nicht noch ein letztes geschäftliches Telefonat abzuarbeiten gewesen, das Wolfgang dazu zwang, noch ein wenig auf dem Steg auf und ab zu wandern (Wander-Rudern!). Ich wollte dringend los - schließlich ist die Strecke auf stehendem Gewässer kein Pappenstiel – und hatte es so eilig, dass solche Kleinigkeiten wie Flagge und Piekhaken mir gar nicht in den Sinn kamen.
Gegen 18.30 Uhr ging es dann tatsächlich los über den Wannsee Richtung Griebnitzsee bei herrlichem Abendsonnenschein, unser Steuermann Karsten war ganz geblendet. Das wurde auf dem Teltowkanal besser. Vor der Kleinmachnower Schleuse trafen wir zu unserer Überraschung den Dreier an. Dieser Vorsprung war also auch ganz schnell zunichte gemacht. Wir wurden dann aber bald geschleust. Martina setzte uns davon in Kenntnis, dass Stefan heute Geburtstag hätte und daraufhin kuschelten unsere Boote ein bisschen, damit wir ihr Kärtchen unterschreiben konnten. Auf dem Dach des Benjamin-Franklin-Klinikums in Steglitz landete ein Hubschrauber.
Gegen 23 Uhr schlief unser kleiner Steuermann Karsten ein, so dass Wolfgang sich im Bug dauernd zum Steuern umdrehen musste. Das soll ja nicht so gut für den Rücken sein... au, weia! Bald mussten wir unsere Bootslaterne einschalten und bezichteten uns gegenseitig der Nachtblindheit. “Da ist ein Brückenpfeiler!” – “Nein, da ist keiner!” “Wo sind denn eigentlich die vielen Bojen, von denen Martina uns berichtet hat?” – “Ach, hol’s der Geier, ich will jetzt endlich ankommen!” Erst nach Mitternacht legten wir in Oberschöneweide an. Stefan winkte und Malte hüpfte noch immer auf dem Steg herum. Karsten wurde schlafend an Land gelegt. Nun hatte die Ruderer-Meute auch noch Hunger! Also wurde unverdrossen der große Topf angeschmissen...
Donnerstag, 24. Mai (Himmelfahrt)
Bei strahlendem Sonnenschein brachen wir auf nach Fürstenwalde (44 km). Auf dem Wasser war ein regelrechtes Vatertags-Getümmel. Durch Köpenick auf der Dahme über die Regattastrecke Grünau und den Langen See an Schmöckwitz vorbei erreichten wir den Oder-Spree-Kanal. Bei Spreenhagen machten wir eine Badepause und tauschten den Landdienst. Ich durfte den Ruderklub Fürstenwalde suchen, aber meine kleine Mitfahrerin Anke sah ihn zuerst: “Da sind Skull-Männer!” Wo Skulls getragen werden, ist ein Ruderklub, jawohl! Bald kamen auch die Ruderer und wir konnten schön draußen im Abendsonnenschein kochen und essen. Später bemerkte Stefan noch, dass wir keine Deutschland-Flaggen hätten, die auf der Oder aber Vorschrift wären. Da stand mir als Landdienst am nächsten Tag eine Schnitzeljagd bevor! Unser Schlaflager befand sich auf dem Bretterboden über dem (immerhin leeren) Kastenruder-Becken.
Freitag, 25.5.
Die Rudersleute brechen auf nach Eisenhüttenstadt (52 km Oder-Spree-Kanal), Karsten und ich machen Landdienst. Karsten braucht erst einmal Husten-Medizin aus der Apotheke. Nach längerem Suchen in Krimskramsläden, Reisebüros und Buchladen wurden wir an einen Bootsausstattungs-Laden verwiesen, der sich in Fürstenwalde südlich der Spreebrücke in der August-Bebel-Straße befindet (Tip für alle, die noch Zubehör brauchen). Da gab es alles, was man sich nur wünschen konnte, auch unsere Flaggen für die Oder. Dann suchten wir die Wechselstelle beim Kanuverein Schlaubehammer. Dort gingen wir alle zusammen Eis essen. Wolfgang fuhr sich selbst ins Krankenhaus, um sich eine Spritze gegen seinen Hexenschuss verpassen zu lassen. Der Kanal war voller nerviger beißender Fliegen. Gemein! Zum Vereinshaus in Eisenhüttenstadt gehört auch ein Hallenfußballfeld, auf dem man prima rumbolzen kann.
Samstag, 26.5.
Jetzt wird die Fahrt wieder interessanter! Die Schleuse Eisenhüttenstadt versenkt uns um 12 m auf Oder-Niveau, und wir verlassen den Kanal. Auf der Oder haben wir wieder Strömung, leider aber auch Gegenwind – mal mehr, mal weniger. Dafür sind es nur 35 km bis Frankfurt/Oder. Pause war in Aurith (Ziltendorfer Niederungen, Überschwemmungsgebiet 1998?), wo sich gleich hinter dem Deich ein netter Gasthof mit Biergarten befindet. Die Sandkiste dort begeistert große und kleine Kinder, und Anke freut sich über die großen Jungs als Sandkuchen-Esser. Wieder im Boot ist schon bald von weitem der Oder-Turm zu sehen, der mitten in Frankfurt steht. Der Frankfurter Ruderverein hat ein aus Container-Modulen erbautes Vereinshaus, nachdem 1994 das vorherige Bootshaus komplett abgebrannt war. Damals erhielt der Verein großartige Hilfe zum Wiederaufbau aus Sach- und Geldspenden aus ganz Deutschland. Sämtliche vorhandene Boote stammen aus dieser Aktion. Am Abend gingen wir in die Stadt zu McDonald’s. Anke darf auf den Rücken ihrer neuen Freunde Niklas und Philip reiten.
Sonntag, 27.5.
In Frankfurt/Oder stachen uns die Mücken, darum schnell weiter auf der Odra (polnisch) 50 km bis nach Kienitz. Leider hatten wir nun starken Gegenwind und die Pause in Bleyen wurde kurz ge-halten. Im Ort ist das Gasthaus “Zum Wagenrad”, das aber nur der Landdienst nutzte. In Kienitz gibt es einen “Hafen” und einen Sportbootparkplatz, dort zogen wir die Boote ein Stück die Böschung hinauf und fuhren mit unserem Bus zurück nach Berlin. Bis zum nächsten Freitag in alter Frische!
Berlin-Oder-Berlin – Du hast keine Wahl! – Teil II der Qual (Fahrtbericht von Katrin)
Teilnehmer: Stefan, Martina, Reyk, Volker Sapora, Familie Schirp
Freitag, 1.6.2001
Wir treffen uns um 14.30 Uhr am Bootshaus “Welle Poseidon” mit Stefan und Martina. Wieder laden wir unsere “Schirpsiebensachen” (5 Taschen, 5 Schlafsäcke, 5 Matten, Schuhkiste, Regenkiste, Badesachen-Tasche, Ruder-Zampel, Rettungswesten und 3 Kinder-Autositze) in den Bus. In Zehlendorf-Mitte springt Reyk hinein, in Treptow Volker Sapora, der sich als Ersatzmann für seine Zwillinge bereiterklärt hat mitzukommen. In Kienitz machen wir die Boote wieder klar und rudern noch 18 km bis Zollbrücke. Dort gibt’s nasse Füße auf steinigem Strand, aber auch geheimnisvolle Bäume im Wasser stehend. Zum Übernachten fahren wir zum Kanuverein ESV Empor Eberswalde am Oder-Havel-Kanal. Stefan macht uns Putengulasch mit Reis und als Nachtisch Rote Grütze mit Vanillesoße. Volker hat einen guten Rotwein mitgebracht.
Samstag, 2.6.2001
Der Hausmeister vom ESV Empor holt für uns frische Brötchen! Das ist ein schönes Frühstück!
Von Zollbrücke (Oder 651 km) geht es weiter nach Norden, es regnet ein wenig, bleibt aber warm, und wir haben einen kleinen Zwischenfall bei Strom-km 666: Reyk springt im Boot über Martina hinweg, als er merkt, dass sie ihn bei der Wende nicht unterstützt, die mich als Steuerfrau als erste über die Schnapszahl bugsieren sollte. Zum Glück sind wir wider Erwarten nicht gekentert bei diesem Manöver und ich versprach, bei nächster Gelegenheit einen auszugeben. Nee, diese Jugend! Kein Wunder, dass unter solchen Umständen selbst der notleidende Dreier Saimaa, lediglich mit Volker und Wolfgang bestückt, uns auf und davon fuhr! Die beiden waren wirklich sehr gut drauf und verstanden sich prima. Wir trafen uns erst bei der Schleuse Hohensaaten wieder, wo wir in den Oder-Havel-Kanal einbogen. Nach kurzer PP in Marina Oderberg freute ich mich auf Kilometer 78. Dort befindet sich ein tolles Ding von Technik, ganz durchsichtig à la Tour Eiffel:
Das Schiffshebewerk Niederfinow ist das zweitgrößte der Welt und wurde von 1927 bis 1934 aus 13.800 t Stahl erbaut. Es ist 94 m lang, 12 m breit und 60 m hoch. Der geflutete Trog wiegt 4300 t und ist durch 256 Stahlseile mit Gegengewichten verbunden. Die Seile laufen über 128 Rollen mit 3,50 m Durchmesser und einem Gewicht von je 5 t. Ein Hub dauert 5 Minuten, der gesamte Auf- und Abtransport ca. 20 Minuten.
Während der Zeit, in der wir in diesem Wunderwerk der Technik 36 Meter in die Höhe gehoben wurden, schafften Volker und Wolfgang es in ihrem schwer steuerbaren Dreier, an dem Fahrgastschiff “Odertal” anzudocken und drei Flensburger Pils zu besorgen. Das dritte war natürlich für mich! Das Plopp hallte so schön in der riesigen Badewanne, in der wir uns befanden. Ich war so begeistert, dass ich dieses Erlebnis gern begießen wollte, weil es sämtliche Kanal-Ruderei belohnte.
Leider ging es Martina dabei nicht so gut, sie bekam Platzangst hinter dem dicken Schwarzblech und neben dem Fahrgastschiff und dem Badewannenrand. Tatsächlich machten die Schiffe beim Ausfahren so viel Gestrudel, dass wir gar nicht so einfach vom Rand wegkamen. Kaum draußen im Kanal, hörten wir die “Odertal” hupen und sahen, dass unser notleidender Dreier auf Kollisionskurs war. Es hat aber keiner den anderen versenkt, es war wohl alles in Ordnung, sie haben sich nur Tschüß gesagt. Zweier und Dreier machten noch ein wenig Kuschelpause, dann rief Stefan an, wo wir blieben, das Essen wäre schon fast fertig. Da legten wir uns schnell in die Riemen bis zur 70 km-Marke.
Pfingstsonntag, 3.6.
Kein frohes Pfingstfest zunächst für Stefan! Er hatte derbe Zahnschmerzen und versuchte dennoch, seine Gedanken außerhalb des Schmerzes im Hirn zu fokussieren, um den Fortgang der Fahrt zu planen. Der Zweier musste liegen bleiben! Volker brachte Stefan zum Zahnarzt und nahm später die Kinder im Bus mit. Stefans Zahn wurde gezogen; damit ging es ihm wieder gut.
So machte sich nur der Dreier nach Birkenwerder auf den Weg. Das Wetter war aprilmäßig und wir hätten gern eine Regenzeit ausgelassen, indem wir uns in ein Gasthaus flüchteten. Wir legten in Zerpenschleuse an und fanden ein sehr inspirierendes Gasthaus am Bahnhof Ruhlsdorf-Zerpenschleuse: “Erlebnisgaststätte Kultourbahnhof” mit tollem Outfit, günstiger Speisekarte, Schlittenhunden und Kleingetier zum Streicheln (sehr empfehlenswert für Ausflüge oder Ruderpausen).
Auf der Weiterfahrt ereilte uns leider zur halben Strecke in ein fieses Hagel-Gewitter. Danach war es kalt und wir naß. Ich war am Steuer und habe lange nicht mehr so gefroren! Die Einfahrt nach Birkenwerder ist wunderbar “spreewaldartig”, der Ruderverein sehr hübsch gelegen, man könnte dort Urlaub machen. Im Dörfchen war ein “Ritterfest”, das die Kinder sehr aufregend gefunden hatten, dort gingen Martina, Reyk und Stefan hin. Wir blieben im Lager und kochten mit unseren Kindern Spaghetti.
Pfingstmontag, 4.6.
Am Morgen regnete es Bindfäden. Wir frühstückten noch in unserer heimeligen Hütte und wurden uns schnell einig, dass keiner mehr Lust hätte zu rudern. Also packten wir den Bus und fuhren zum Welle Po. Dort trafen wir auf Franky’s Wanderruderer-Crew (aus Prag zurück) und freuten uns beim gemeinsamen Bier auf die nächste Tour zusammen.
Vielen Dank, lieber Stefan, für diese schöne Fahrt, jetzt sehen wir Brandenburg mit ganz anderen Augen. Ärgere Dich nicht über die “Personalausfälle”! Was Dir als “Panne” erscheint, hat uns Teilnehmer gar nicht so aufgeregt wie Dich. Wir nehmen alles, wie es ist, auch das Wetter! Dafür kannst Du schließlich auch nichts.
Katrin Schirp
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