Zusätzlich zur Pfingst-AH-Fahrt fand auch dieses Jahr wieder eine zweite Wanderfahrt statt.
Wir wollten die Ostsee berudern. Im letzten Jahr hatte ich bei einer Boddenfahrt im Raum Stralsund/Hiddensee erste Erfahrungen gesammelt. Dieses Mal wollten wir die Königsstrecke fahren - rund um Rügen.
Die ersten Erkundigungen in diese Richtung waren nicht sehr erfolgversprechend. Die Auskünfte, die ich erhielt, variierten zwischen ”schafft Ihr nie in einer Woche” und ”Ihr habt doch wohl eine Meise”. Wirklich scheint diese Strecke bisher nur sehr selten befahren worden zu sein. Erfahrungswerte waren also schwer zu erhalten, und auch das Kartenmaterial für diese Region ist eher dürftig. Der gute alte Wasserwanderatlas reicht nur bis in die Boddengewässer, die Rüggenschen Außengewässer sind aus verständlichen Gründen dort nicht abgebildet. Die Seglerseekarten zeigen die Außenküste auch nur in völlig indiskutablen Maßstab und so blieben uns Touristenkarten im Maßstab 1:75.000.
Zwei Leute mit dänischen Langturspatent hatten wir glücklicherweise, aber der Rest der Mannschaft hatte keinerlei Erfahrung im Rudern auf See.
Die Anreise am 20. Mai (Freitag vor Pfingsten) lief wie befürchtet. Von der Innenstadt bis zum Berliner Ring brauchten wir 2,5 Stunden, von dort bis Stralsund schafften wir es über Schleichwege in weiteren 2,5 Stunden. Wir hatten schon erwartet, daß wir unsere restlichen Leute, die um 22 Uhr in Stralsund mit der Bahn ankamen, nicht rechtzeitig vom Bahnhof abholen könnten, doch wir schafften es noch.
Die Aufnahme beim Ruderclub Stralsund war freundlich. Wir durften im Gymnastikraum unser Mattenquartier aufschlagen. Die beiden Innenrigger (Riemenzweier mit) der Dänemarkfahrer und die deutsche Doppel-Seegig (Zweier ohne) waren im guten Zustand, so daß wir am Pfingstsamstag früh starten konnten.
Da wir ohne Landdienst fahren wollten, mußte das Gepäck in den Booten verstaut werden, und hier zeigte sich die Überlegenheit der Innenrigger, die Seegig konnte nur minimal Gepäck aufnehmen. Die Innenrigger waren dadurch natürlich sehr stark beladen, obwohl die einzelnen Teilnehmer sich bei ihrem Gepäck bereits zurückgehalten hatten, aber Zelte, Schlafsäcke, Kocher und Lebensmittel nahmen viel Platz weg. Unsere Strecke führte uns, bei herrlichen Sonnenschein, über den Strelasund , zwischen den Inseln Bock und Hiddensee auf die offene Ostsee hinaus. Die Pause auf einer Untiefe mitten im Strelasund verschaffte uns die Bekanntschaft eines freundlichen Herren von der National-parkverwaltung, der uns erklärte, daß diese Gebiete Schutzzone 2 wären und deshalb nicht betreten werden dürften. (Wie im Spreewald scheint man mehr oder weniger ahnen zu müssen, was man wo darf. Auf den Karten sind zwar die Nationalparks eingezeichnet, aber keine Schutzzonen.)
Da mäßiger Ostwind herrschte, fuhren wir ohne größere Probleme an der westlichen Küste von Hiddensee aufwärts. Nördlich von Hiddensee mußten wir leider nach Osten abbiegen, so daß wir den Wind genau von vorn hatten. Die letzten 15 km schlichen dahin, die Strecke zog sich in die Länge.
Die Seegig erwies sich übrigens als viel zu schnell für die Innenrigger. Bei vergleichbarer Mannschaft fährt sie fast doppelt so schnell, ist aber deutlich weniger seegängig.
Am Campingplatz von Nonnevitz erfuhren wir, was es heißt in der Brandung am Strand anzulegen. Auch das rückwärts anlegen (das beim Langturskurs empfohlen wird) hat seine Tücken. Die Aufgabe den Bug direkt in die Wellen auszurichten, übernehmen natürlich die Ruderer, da der Steuermann keine Möglichkeit zum Steuern mehr hat. Die Wellen haben nun die fatale Eigenschaft das Boot quer zu drehen und wenn die Ruderer nicht schnell genug reagieren und es wieder ausrichten, droht das Boot vollzulaufen oder im schlimmsten Falle umzuschlagen.
Hier erwartete uns Zadig Kollonitsch, der mit dem Motorrad eine Wochenendspritztour auf Rügen machte und sich vorher erkundigt hatte, wo wir am ersten Abend seien.
Als wir am nächsten Morgen aus den Zelten krochen, erwartete uns kein schönes Wetter, Nieselregen und der Wind hatte etwas aufgefrischt.
Nun erklärte uns ein Teilnehmer, daß er die Fahrt nicht mehr weiter machen würde und nach Hause fahren wolle. Der Wind war wohl weniger das Problem, als vielmehr der Regen. Man fragt sich, was einige Leute Ende Mai auf Rügen für ein Wetter erwarten! Wir hatten auch im Vorfeld sehr klar gesagt, was uns erwarten könnte. Wenn einzelne der Meinung sind, der V.L. würde sowieso bei seinen Schilderungen nur übertreiben, ist das nicht das Problem der Fahrtenleitung. Das Verhalten dieses Teilnehmers kann man wohl nur als grenzenlose Unverschämtheit gegenüber den anderen Fahrtteilnehmern und dem V.L. bezeichnen.
Die Folge war, daß sich Marianne und Annette Graul mit dem Landdienst abwechseln mußten, da wir besonders bei den kritischen Strecken unsere Langturssteuerleute nicht aus dem Boot geben wollten. (Gegen Ende der Fahrt haben dann auch Carl-Friedrich Ratz und Stefan Landdienst gemacht, was eigentlich ein Verstoß gegen das Langtursreglement ist, aber die beiden Frauen waren eigentlich zum Rudern mitgekommen und nicht zum Autofahren.) Die anderen Teilnehmer waren Jugendliche: Franziska Ratsch, Anna Hagemann und Christoph Andersen.
Das eigentliche Problem war nun zuerst einmal den Seegig-Zweier nach Stralsund zurück zu bekommen. Nach mehreren Anrufen in Stralsund gelang es uns, den Vorsitzenden des Stralsunder Ruderclubs ans Telefon zu bekommen, der uns sofort erlaubte, den Stralsunder Bootshänger zu benutzen. Glücklicherweise hatte Carl-Friedrichs Wagen eine Hängerkupplung, so daß wir nicht auch noch ein Zugfahrzeug besorgen mußten.
Marianne wurde von Zadig mit dem Motorrad nach Stralsund gebracht (1h), stieg dann hier aufs Auto um, koppelte den Hänger an und fuhr wieder nach Nonnevitz, wo das Boot aufgeladen wurde (3h). Von hier wurde der Hänger wieder nach Stralsund gefahren. Während Zadig inzwischen die Boote suchte (und nicht fand, da wir nicht am verabredeten Treffpunkt angekommen waren.).
Wir hatten uns aufgemacht, mit den Innenriggern Kap Arkona zu umrunden. Da wir wegen der zahlreichen Verzögerungen erst am Nachmittag starten konnten und der Wind im Laufe des Tages immer mehr aufgefrischt hatte, kamen wir nur sehr langsam voran, und kurz vor dem Kap mußten wir bei 4 m hohen Wellen (physikalisch natürlich nur 2 m Amplitude, aber wenn das Boot vom Wellenkamm ins Wellental fährt geht es eben 4 m nach unten) am Nordstrand anlegen. Die Boote wären zwar noch weiter gekommen, aber die Mannschaften waren von 5 Stunden gegen den Sturm fahren völlig erschöpft. (Übrigens ein interessanter Effekt, wenn man sein 50 m entfernt fahrendes Boot nur noch sieht, wenn man gerade auf dem Wellenkamm ist.) Das Anlegemannöver war diesmal wirklich abenteuerlich. Der klippenfreien Abschnitte am Strand waren jeweils nur 20-30 Meter breit und bei einem Wind schräg von hinten, hatte man mit einer erheblichen Abdrift zu kämpfen. Bei einem Meter Wassertiefe sprang die gesamte Mannschaft (in voller Kleidung) aus dem Boot, um im letzten Moment zu verhindern, daß es auf einen Felsen geworfen wird. Das zweite Boot wäre in den Brandungswellen fast umgeschlagen und war ziemlich voll gelaufen, als es endlich den Strand erreichte.
Da saßen wir nun alleine am windigen Nordstrand. Unser Landdienst (mit Kocher und Essen) suchte uns ganz wo anders, aber immerhin hatten wir die Zelte und trockene Sachen dabei.
Annette gelang es nach längerem Fußmarsch, ein Telefon zu erreichen und über den Stralsunder Vorsitzenden eine Nachricht an den Landdienst abzusetzen. Auf dem Rückweg ergatterte sie in einer Strandkneipe ein paar Schnitzel für die hungrige Mannschaft. Zusätzlich wurden die persönlichen Notrationen an Schokolade und ähnlichen Sachen aufgebraucht. Während Anna und Stefan sich auf einen Fußmarsch zum Leuchtturm begaben, in der Hoffnung vielleicht dort den Landdienst zu finden, baute Carl-Friedrich mit drei Riemen ein ”Schiff-brüchigenzeichen” am Strand auf.
Gegen halb zwei Uhr nachts fand uns dann der Landdienst mit den Worten: Was ist, leben alle noch?
Am nächsten Tag war es neblig und deshalb ruhiger, so daß wir die Umrundung von Kap Arkona wagen konnten. Möglichst weit von der Küste, um den Klippen auszuweichen, aber nah genug um die Küste noch zu sehen lautete die Devise. Diesmal gelang es uns bei nur gut 1 m (physikalisch) hohen Wellen die Umrundung. Vom Kap haben wir allerdings nicht viel sehen können, wir waren aber froh, als wir es hinter uns hatten. Der Wind kam jetzt nicht mehr von vorne, aber genau parallel zu solchen Wellen ist auch kein angenehmes Rudern möglich.
Als wir am Nachmittag Glowe erreichten, fing es gerade an zu regnen, so daß wir nur schnell die Zelte aufbauten, um uns dann in eine Strandkneipe zu retten. Leider schloß diese um 19 Uhr, so daß wir uns nicht allzu lange aufwärmen konnten. Die nachfolgende Ortsbesichtigung, immer in der Hoffnung, irgendwo eine warme Dusche zu finden, verlief ergebnislos.
Der ganze Ort wird anscheinend komplett abgewickelt. Von den drei Jugendherbergen sind zwei geschlossen, und eine wird abgerissen. Der Campingplatz ist ab diesem Jahr geschlossen, da er Umweltgesichtspunkten widersprach. Das einzige Hotel entsprach nicht ganz unserem finanziellen Niveau und in unserem Outfit wären wir dort sicher auch nicht hereingekommen.
Als nächstes standen die Kreidefelsen und der Hafen von Saßnitz auf dem Fahrtprogramm. Vor den Kreidefelsen sollte man übrigens großen Abstand halten, da einige Klippen sehr weit von der Küste entfernt und schwer zu sehen sind. Kein sehr angenehmes Gefühl, wenn man plötzlich vom Bug her ein Dröhnen hört, weil man auf eine Klippe aufgelaufen ist. Glücklicherweise kam es zu keinem Schaden.
Vor Saßnitz mußten wir etwas warten, da wir sonst einer Schwedenfähre in die Quere gekommen wären. Nachdem auch den Hafen von Mukran passiert hatten, klarte auch das Wetter auf und bei strahlenden Sonnenschein machten wir kurz hinter Mukran eine Pause an einem wunderschönen Sandstrand.
Das hätten wir lieber bleiben lassen sollen, denn Annette als Landdienst sah von Binz aus mit einem Fernglas die Boote am Strand liegen, glaubte, wir hätten wieder ein Problem und schwang sich ins Auto, um zu uns zu eilen. Als sie unsere Anlegestelle erreichte, waren wir aber schon wieder weg. Dank des Staus auf der Uferstraße erreichte der Landdienst den Endpunkt in Binz fast zeitgleich mit den Booten. Die unerfreuliche Mitteilung an die Boote war, daß die Jugendherberge von Binz gerade renoviert wird und deshalb geschlossen war und der Zeltplatz weit vom Ufer entfernt lag. Da wir aber am belebten Binzer Strand unsere Boote nicht alleine lassen wollten, zelteten wir wieder ”wild” am Strand.
Nach einer sehr feuchten Ablege durch die Brandung machten wir uns auf den Weg zum südöstlichen Ende von Rügen. Das Wetter war heute sogar sonnig.
Unsere Boote erreichten die Landestelle in Lobbe wieder einmal früher als der Landdienst, da Marianne im Stau und auf den teilweise unbefestigten Straßen nur langsam vorwärts kam.
Dieses Mal entschlossen wir uns, zum ersten Mal während dieser Fahrt, offiziell auf den Campingplatz zu gehen. Der Campingplatz war zwar nicht gerade schön, aber die sanitären Anlagen waren in Ordnung, was unsere Mädchen sofort zu einer anderthalbstündigen Dusch-session nutzten.
Danach bevölkerten unsere Jugendlichen den örtlichen Spielplatz, leider nicht um zu spielen. Jedenfalls hätten sie, als sie um halb zwei ins Zelt stolperten, etwas leiser sein können.
Die Umrundung des Südostkaps wurde zu einer Tortur, da der Wind, der die ganze Zeit aus Osten geweht hatte, plötzlich auf West schwenkte, also wieder genau von vorne kam. Nach 25 Kilometern hatte der Landdienst wieder einmal die unangenehme Mitteilung, daß der Campingplatz Stresow leider bereits vor drei Jahren abgewickelt wurde und die Boote noch 6 km weiter nach Neuendorf müßten. Dort hatte der VL allerdings drei Zimmer in einem ehemaligen Stasiobjekt (vermutlich) besorgt, so daß diesmal äußerster Luxus angesagt war.
Anna, die an diesem Tag den zweiten Innenrigger geführt hatte, brach nach der Ankunft aber völlig überanstrengt zusammen und wurde von unser Bordärztin Annette sofort ins Bett gesteckt.
Am folgenden Tag überquerten wir, bei Rückenwind, den Strelasund und übernachteten in Stahlbrode, konkurrenzlos billig in zwei Bungalows eines in Auflösung befindlichen Freizeitobjekts. Annette hatte als Landdienst kräftig eingekauft, so daß das Abendessen zu einer Schlemmer-orgie wurde. Bei kaltem, aber sonnigem Wetter saßen wir vor unserem Bungalow und probierten die 6 kg Obstsalat (als Nachtisch) zu vertilgen.
Am Samstag erreichten wir bei strahlendem Sonnenschein Stralsund. Genau rechtzeitig, wie in der Fahrtenplanung vorgesehen, aber leider drei Tage zu früh für das Fest zum Hundertjährigen Bestehens des RC Stralsund. Nach der länger dauernden Reinigungsaktion, fuhren Carl-Friedrich und Marianne nach Berlin zurück, während die anderen noch eine Nacht im Festzelt (alle anderen Quartiere waren belegt) des Stralsunder Ruderclubs verbrachten.
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