1060 km von der Russischen Grenze nach Berlin
Von der polnischen Behördenwillkür zu Ostern auf der Oder hatten wir uns nicht abschrecken lassen und allen Unkenrufen zum Trotz an unserem Ziel einer Polenwanderfahrt von Masuren nach Hause festgehalten. Am letzten Schultag ging es am Nachmittag los, zunächst mit einem Abstecher nach Eberswalde um das dritte Boot und unsere beiden auswärtigen Mitglieder Kirstin und Uli abzuholen. Weitere Teilnehmer im Auto Sophie, Peppi, Moritz, Manuel, Kevin und Stefan. Weiter ging es nun auf der Nordroute Richtung Danzig durch Polen. Die polnischen Überlandstrassen waren wie schon von Ostern gewohnt mässig. Durchschnittliche Reisegeschwindigkeit 60 km/h und das obwohl unser Fahrer sich schnell an den polnischen Fahrstil angepasst hatte. Bei Marienburg fanden wir dann noch spät abends ein Hotel und bekamen den Bootsanhänger auf den bewachten Parkplatz. Am nächsten Morgen gab es einen Kurzbesuch der Deutschen Ordensburg. Danach ging es weiter Richtung Masuren. Die Strassen wurden schmaler und kurvenreicher, aber dafür wurden auch die Ortschaften weniger so dass wir schneller voran kamen. Bei Trygort erreichten wir das nordwestliche Ende der Masurischen Seenplatte. Der erste Versuch eine Zufahrt zu einem Campingplatz am Wasser zu finden endete in einer Sackgasse 40m über Seeniveau bei ein paar Ferienhäusern. Nach diesen Fehlschlag stellten wir den Anhänger erst mal in einer Seitenstrasse ab und suchten mit Solofahrzeug in Wegorzewo nach der Pension Nautic deren Reklameschild wir gesehen hatten. Die Rezeption sprach sogar Englisch und der herbeigeeilte Besitzer sogar fliessend Deutsch. Die Zimmer hatten vollen “Weststandard” und die Pension hatte einen eigenen Hafen, wo wir den Anhänger abstellen und unsere Boote abladen konnten. Eine der wenigen Quartiere in Polen, das wir uneingeschränkt weiterempfehlen können! Leider war auch der Preis schon sehr westlich. Am Abend wurden dann noch Patrick und Malte in Gyzicko vom Bahnhof abgeholt damit war die Mannschaft vollständig. Der Abend wurde in einer Kneipe direkt an einem der 3 Häfen von Wegorzewo verbracht. Die Häfen platzten aus allen Nähten, massenweise Segelboote und die entsprechenden Mannschaften dazu.
Der Start der Boote am nächsten Morgen begann stilecht. Das Tor das den Yachthafen vom Kanal trennte wurde per Fernbedienung elektrisch geöffnet. Durch einen 3 km langen Kanal erreichten wir den Mauersee (Jez Mamry). Glücklicherweise waren wir früh genug aufgestanden uns begegneten nur einige Boot im Kanal. Kurze Zeit später ergossen sich massenweise Segelboote aus den Häfen von Wegorzewo, die sich aber auf der grossen offenen Fläche gut verteilten. Nach ca. 5km hatten wir den See überquert und erreichten in einigen Inseldurchfahrten den nächsten See. Diesen folgten wir weiter bis Gizycko. Die Stadt passierten wir in einem kurzen Kanalstück und erreichten den Löwentin-See. Hier wurden wir von der Wasserschutzpolizei ermahnt nicht in der Nähe der Fahrrinne zu baden, ein Tip den wir angesichts des Fahrverhaltens polnischer Motorboot- und Jetskifahrer annahmen. Am Ende des Sees in Rydzewo hatte unser Landdienst einen netten kleinen Familiencampingplatz gefunden. Schöne Wiese zum Zelten, 1A-Sanltärgebäude und eine preiswerte Gastwirtschaft. Allerdings hätten die Portionen etwas grösser sein können, aber wer rechnet auch schon mit hungrigen Ruderern.
Die folgende Strecke führte zunächst durch ein System kleinerer, langgestreckter Seen die mit Kanalstücken verbunden waren. Besonders in den Kanaldurchfahrten nervte das Fahrverhalten des Polnischen motorisierten Wassersports massiv. Wenn wir mit C-Booten gefahren wären, dann hätten die Steuerleute ständig schöpfen müssen. Dazu kam noch ab dem Taltener See kräftiger Gegenwind, der uns in unseren Zweiern Kraft abverlangte. Hier erreichten wir mit Nikolaiken das Touristenzentrum der Seenplatte. Wer den Berliner Wannsee bei schönem Wetter am Sonntag kennt, der kann sich vorstellen was in Nikolaiken los ist. Nur mit dem Unterschied das sich am Wannsee einige motorisierte Verkehrsteilnehmer rücksichtsvoll benehmen. Wir machten das wir schnell vorbeikamen und bogen hinter dem Ort in den Beldaner See ab. Der Landdienst hatte hier nach einigen Kilometern einen Campingplatz aufgetrieben und nach einigen Unklarheiten hinter welcher Landzunge wir anlegen sollten fanden sich alle Boote und der Landdienst. Der Campingplatz war der krasse Unterschied zum Vortag. Zunächst das Positive: Er war billig. Dafür war das Sanitärgebäude unbeschreiblich, Modell Russisch-Polen. Dazu kamen massenweise grölende Jugendliche und junge Erwachsene dir bereits am frühen Nachmittag zuviel Wodka hatten. Selten das man mit einer Rudergruppe auf einem Campingplatz zu den ruhigen Gästen gehört. Leider gibt es auf polnischen Campingplätzen auch keine Nachruhe, so dass die musikalischen Leistungen der Polnischen Jugend bis 3 Uhr zu bewundern waren. Das ich mir noch einmal einen typisch deutschen Campingplatz-Blockwart wünschen würde, der für Ruhe sorgt hätte ich mir auch nicht vorstellen können.
Wir ruderten zunächst wieder aus dem Beldaner See heraus und bogen auf den Spirdingsse, den grössten See Polens ab. Er ist etwas kleiner als die Müritz. Glücklicherweise hatte der Wind die Richtung gewechselt, so dass wir uns unter Ufer südwärts schleichen konnten. In einer tiefen Bucht am äussersten Südende zweigt der Kanal Jeglinski ab. Nach dem passieren der ersten polnischen Schleuse atmeten wir auf, keine Schleusendiskussionen sondern nur 4 Zloty Gebühr pro Boot. Dieser Kanal ist eine Abkürzung zum Roschsee dem südlichsten See der Seenplatte. Die natürliche Strecke über 2 See und 2 Kanäle ist für Ruderboote wahrscheinlich nicht, oder nur schwer zu befahren. Am Ausfluss der Pisa aus der Seenplatte liegt Johannisburg, eine schöne Kleinstadt mit deutlich weniger Touristenrummel als ansonsten an der Seenplatte. Direkt am Seeausfluss liegt ein wunderschöner, ruhiger Campingplatz, aber da wir noch weiterwollten machten wir hier nur Mittagspause. Die Weiterfahrt ging etwas einfacher 2-3km/h Strömung halfen uns nun. Allerdings war wegen ständiger 180° Kurven nun höchste Aufmerksamkeit der Steuerleute und schnelles Reagieren der Mannschaft gefragt. Auf einer Seite war fast ständig überziehen angesagt. Die Landschaft dafür traumhaft, nur Grün um uns herum keine Orte, selbst Angler waren extrem selten nur nach endlosen 17 km steht unser Landdienst am Ufer und winkt. An einer flachen Stelle nehmen wir die Boote heraus und bauen unsere Zelte auf. Die versprochen Brücke die als Orientierungspunkt dienen sollte ist eine Kurve weiter und vom Wasser aus noch nicht zu sehen.
Der folgende Tag sollte der Rest der Pisa geschafft werden 66km bis Nowgorod an der Narew. Über endlose Schleifen geht es weiter den Fluss abwärts. Plötzlich steht wieder der Landdienst am Ufer und gibt Informationen an die Boote wo sie am Abend anlegen sollen. Immerhin mal wieder Hotelquartier. Leider muss der Landdienst noch mal ausrücken und die Boote suchen. Ausgerechnet das letzte Boot hat eine lose Dollen und das Werkzeug ist im zweiten Boot. Also kurzer Boxenstop an der vorletzten Brücke, bevor es weiter auf die “Todesroute” O-Ton Gewässerführer geht. Hier sollen Felsen im Fluss liegen an denen schon öfter Boote zerschellt sind. Na ja, der Schreiberling der das verfasst hat mag ja ein toller Dramatiker sein, aber mit der Realität hapert es bei ihm ein bisschen. Schon die Formulierung “Mittelgebirgscharakter” für ein paar Sandhügel sorgten speziell bei unserem Rheinruderer Patrick für Heiterkeit. Der Fluss hat im unteren Verlauf wieder etwas mehr Strömung und man muss die Augen offen halten und natürlich nicht auf die sichtbaren und teilweise sogar markierten Untiefen auffahren, das war es dann aber auch schon (fahrt mal Ivalojoki dann wisst ihr was Untiefen und Stromschnellen sind). Nach dieser “gefährlichen” Einlage erreichten wir die Narew. Der Ort Nowogrod ist ein trauriges Nest, das Backbord auf einem Hügel liegt. Kurz unterhalb des Ortes liegt das einzige Hotel. Wie vom Landdienst empfohlen ruderten wir zunächst am Hotel vorbei und arbeiteten uns von unten in einen Altarm durchs Schilf, um dann direkt vor dem Hotel anzulegen. Das Haus war rammelvoll, mehrere Jugendgruppen, aber wir hatten noch 5 Zimmer bekommen, die zwar direkt neben der Disko lagen, aber die machten immerhin um 22 Uhr zu. Schlimmer war schon, dass am Haus gebaut wurde und diese Bauarbeiten um 5 Uhr früh lautstark anfingen. Das Hotel ist ansonsten empfehlenswert aber eigentlich auch zu teuer.
Die Narew ist erheblich grösser und die Kurven sind nicht so eng, aber durch die Einsamkeit geht die Strecke hier auch. Ausser 3 Seilfähren und vereinzelt mal einem Haus sieht man kaum Zivilisation. Den ganzen Tag begegnen uns nur zwei unter Motor fahrende Segelboote. In Ostroleka steht der Landdienst am Ufer und winkt uns ran. Auf der folgenden Strecke (einem alten Truppenübungsplatz) gibt es keine Quartiermöglichkeiten und das Anlegen ist auch nicht zu empfehlen, also ist heute bereits vorzeitig Schluss. Uli hat es hinbekommen, dass wir unsere Boot in die Halle des örtlichen Bootsbauers lagern können. Das moderne Hotel direkt am Ufer lassen knausrigere Ruderer natürlich links liegen. Direkt hinter dem Deich, aber vom Wasser nicht zu sehen liegt ein sozialistischer Plattenbau, hier können wir mal wieder wirklich preiswert übernachten und die Zimmer sind völlig OK. Den angefangenen Tag nutzen wir zu ausgiebigen Shopping- Bummel durch durch die City. Da das Hotel kein Restaurant hat ordern wir per Telefon Pizza für die ganze Mannschaft. Im Gegensatz zur Kommunikation mit der Hotelrezeption geht das sogar auf Englisch.
Nach der Durchfahrt durch die Stadt Ostroleka (hässliche Industrie am Ufer) hat uns die Natur wieder, nur wenige Ortschaften zieren die Ufer. Erst gegen Ende der Etappe nehmen die Ferienhaussiedlungen massiv zu. Beim heutigen Schnapskilometer liefert Kevin den besonderen Stunt bei voller Fahrt aus dem Boot zu springen um nicht zahlen zu müssen. Dabei stellt er fest wie flach die Narew eigentlich ist, er kann problemlos seinem Boot hinterherlaufen. Kurz hinter einer Fähre hat der Landdienst eine Zeltmöglichkeit gefunden. Wir baden erst einmal ausgiebig bevor es ans Abendessen kochen geht. Zum Glück für unseren Shopping-Süchtigen Peppi gibt es in 2km Entfernung sogar einen Laden.
Am nächsten Tag wird die Narew zunehmend breiter die Strömung lässt nach. Der Rückstau der Staumauer von Debe wird spürbar. Gegen Ende der Etappe ist die Narew seeförmig mit vielen Inseln. Der Motorbootverkehr ist weiterhin gering, obwohl der See das Naherholungsgebiet von Warschau ist. Allerdings nimmt die Zahl der Datschen am Ufer ständig zu. Der Landdienst hat uns diesmal sogar ein polnisches Motorboot entgegen geschickt, deren Besitzer uns erklären wo wir hin müssen. Direkt hinter einer Brücke nach Steuerbord zur Marina Serock. Ein Deutscher Yachtbesitzer würde wahrscheinlich die Nase rümpfen, aber es gibt sanitäre Einrichtungen und das würde uns eigentlich reichen. Als der VL erfährt das es sogar Zimmer gibt ist er bereit statt der Zelte diesmal puren Luxus zu ordern. Das Gebäude ist eine Bruchbude, aber die Zimmer sind ordentlich, die Dusche und die Toiletten leidlich in Ordnung. Auf Empfehlung der freundlichen Motorbootfahrer gehen wir in kurzer Entfernung Asiatisch Essen. Das Lokal ist preiswert und gut, die Portionen sind ruderertauglich. Kurz nachdem wir zurück im Quartier sind bricht ein Unwetter los, das unseren Zelten sicher nicht gut bekommen wäre. Die Blitze folgen so dicht hintereinander das es taghell ist, die Sturmböen fällen reihenweise Bäume und der Regen ist sintflutartig. Die Verwüstungen sind die ganzen nächsten Tage zu sehen.
Heute ging es über den Narew Stausee. An der Staumauer von Debe gibt es leider keine Schleuse und der versprochene kurze Umtrageweg entpuppt sich als 1,5 km durch die Pampa. Glücklicherweise haben wir 2 Bootswagen dabei. Der Autor des Gewässerführers hatte leider vergessen zu erwähnen, dass einen Kilometer unterhalb des Wehres eine Sohlschwelle mit deutlichen Absatz ist die man natürlich mit umtragen muss. Leider verletzt sich Patrick bei der Umtrage so schwer am Fuss, dass er in den Landdienst muss. Kuppeln kann er noch mit dem verletzten Bein, aber nicht rudern. Das heutige Ziel der Campingplatz von Nowy Dwor ist leider ausser Betrieb, vermutlich wegen der Brückenbaustelle die direkt daneben liegt. Glücklicherweise können wir trotzdem zelten und obwohl die Sanitäranlagen bescheiden sind, sind wir froh dass überhaupt welche da sind. Das Restaurant in den daneben liegenden Festungsanlagen aus dem 18 Jahrhundert war recht stillvoll, aber für polnische Verhältnisse völlig überteuert und die Portionen hätten auch ein bisschen grösser sein können.
Nach dem letzten Kilometer Narew erreichen wir den grössten polnischen Fluss die Weichsel. Die Breite ist beeindruckend. Die Tiefe auch. Wenn man sich nicht genau ans Fahrwasser hält läuft man selbst mit einem Ruderboot auf. Dazu kommt noch, dass die Kennzeichnung des Fahrwasser mit Tonnen selten ist und noch seltener richtig. Anscheinend räumt die RZGW Warschau (unsere besonderen Freunde vom Polnischen Schifffahrtsamt) abgetriebene Tonnen nach einem Hochwasser nicht weg. Eine gestrandete Backbordtonne auf Steuerbord verwirrt zunächst einmal ziemlich. Insbesondere da man vom weitem nicht erkennen kann, ob die Tonne nah am Ufer oder auf dem Ufer liegt. Kurz nachdem wir den Strom erreicht haben gibt es erstmal eine Notanlege, ein Gewitter zieht direkt auf uns zu. Nach einer halben Stunde ist der Spuk vorbei und wir können weiterrudern. Der Landdienst verzweifelt währenddessen. Am vorgesehenen Ziel gibt es weder Hotel noch Campingplatz und am Hafen wo man vielleicht zelten könnte trifft sich bereits am Nachmittag die Dorfjugend zum saufen. Als die Boote eintreffen gibt es die Ansage noch 12 km weiter, da haben wir eine Wiese am Ufer gefunden. Allerdings nicht am Hauptarm, der ist von Land nicht zu erreichen. 5 km vor dem vermutlichen Ziel biegen wir mit den Booten in einen Nebenarm ab und hoffen das es kein toter Arm ist. Erfreut stellen wir fest, dass der Nebenarm strömt, also vermutlich kein Altarm. Immerhin blockt der enge Nebenarm den heftigen Gegenwind. Als wir schliesslich einen Hochwasserdeich sehen sind wir sicher den Rand der Weichsel erreicht zu haben, leider ist der Landdienst unsichtbar. Nach einigen Herumtelefonieren findet uns der Landdienst und dirigiert uns noch 2km weiter zu einer Wiese vor dem Deich sogar mit Sitzbänken. Welch angenehmer Luxus man sitzt beim Abendessen mal nicht auf dem Boden oder im Kofferraum des Baumgarten Bus.
Der folgende Tag führt uns weiter über die immer breiter werdende Weichsel. Die Pause auf einer riesigen Sandbank führt zu beeindruckenden Sandburgenbauten und künstlichen Kanälen auf dieser Sandbank. Danach geht es bei weiter unangenehmen Gegenwind zum Beginn des Rückstau der Staumauer von Wloclawek. Direkt vor einer grossen Kurve überlegt die Besatzung eines Boote wo die komischen schweren Grundwellen herkommen. Hinter der Kurve wird uns das klar. Der Wind fällt mit voller Wucht über eine lange Fläche ein und produziert mit der gegenläufigen Strömung bis zu 1,5m kurze Wellen. Wir retten uns zunächst in die Innenkurve wo weniger Strömung und damit auch fast keine Wellen sind. Aber was sind das für riesige Tonnen vor uns? Hängt da ausserhalb des Fahrwasser irgendetwas dran? Da wir nicht riskieren wollen müssen wir jetzt doch rüber in die Aussenkurve und die vollen Wellen. Kurz vor Plock wird es heftig. Der ungedeckte Baumgarten-Zweier aus Eberswalde muss zwischendurch schöpfen, unser gedeckter Baumgarten Zweier hat weniger Probleme, der alte Empacher-D-Zweier ist glücklicherweise voll gedeckt, das Boot wäre sonst unweigerlich abgesoffen, selbst so fangen sie sich eine Menge Wasser ein. Aber dann haben wir endlich den rettenden Yachthafen von Plock erreicht und machen am Strand eine Brandungsanlege (Langtuurscheine sind auch auf Flüssen hilfreich) und suchen den Landdienst. Der shuttelt uns ins Hotel. Das direkt oberhalb des Yachtklubs gelegene Hotel ist viel zu teuer, also haben wir ein Billig-Hotel in einem Vorort. Allerdings hat dieses Hotel vollen Weststandard und eine Rezeption die sogar Englisch kann! Am Abend fahren wir mit dem Auto nach Downtown. Unsere Jugendlichen testen wer die grösste Pizza schafft und wieviel Eis man danach noch reinbekommt.
Der heftige Gegenwind vom Vortag hat sich gelegt, so dass wir über die endlose Weite des Stausees gemütlich rudern können. Zunächst folgen wir in einer grossen Linkskurve dem flachen Backbordufer, als der Stausee dann geradeaus bis zum Horizont geht halten wir auf das mehrere Kilometer entfernte hohe Steuerbordufer zu. Kurz vor der Staumauer gibt es dort eine tief eingeschnittene Bucht in der der Yachthafen von Wloclawek. Unser Landdienst hat bereits die Erlaubnis auf der Wiese vor dem Haus zu zelten. Am Abend kaufen wir noch in weit entfernt liegenden Stadt Vorräte ein und melden uns bei der Schleuse an, was auch gut war. Es wird nur 3 mal am Tag geschleust!
Nach der gestrigen Absprache mit dem Schleusenwart lagen wir pünktlich an der Schleuse und leider fing die Diskussion über das Schleusen von Ruderbooten schon wieder an. Glücklicherweise liess sich der Schleusenwart von Uli beschwatzen uns trotzdem zu schleusen. Bei der Gelegenheit hat Uli das Merkblatt zum Schleusenverbot für Kanus, Kajaks und Ruderboote selbst gesehen! Es ist erschreckend, dass die Beamten vom RZGW dies auf unsere mehrfachen Anfragen vor der Fahrt nicht mitgeteilt haben. Ein Umtragen an dieser Schleuse hätte trotz unserer Bootswagen mehrere Stunden gedauert. Nach der Schleuse ging es dann wieder etwas flotter vorwärts, die Strömung war wieder da. Die Strecke zog sich durch endlose leere Landschaft, mit Auwäldern am Ufer und obwohl kein Boot es besonders eilig hatte, trafen alle Boote in kurzen Abstand am frühen Nachmittag in Thorn ein. Der Landdienst hatte ein Zeltquartier vor dem recht maroden Ruderclub besorgt. Der örtliche Vereinsvorstand musste erst überzeugt werden, dass man das Gebäude den Westlern zumuten konnte. Das Bootshaus ist marode bis in die Substanz, aber der Sanitärbereich existierte und der Duschraum war sogar neu gemacht. Unser Wunsch für die Übernachtung zu bezahlen wurde vehement abgelehnt. Am frühen Abend, wir sassen gerade in eine Gaststätte im wirklich hübschen Stadtkern von Thorn kam dann auch Martin an und brachte seine Tochter Nirina als Verstärkung der Rudergruppe vorbei.
Am heutigen Tag galt es die letzten Weichselkilometer zu rudern und auf die Brahe bzw. den Bromberger Kanal zu wechseln. Wegen der Schleusenproblematik war der VL nervös. Plan B wäre gewesen die Boote in Bromberg aufzuladen und 100km mit den Anhänger zur Warthe umzusetzen, die hat keine Schleusen. Nachdem der Landdienst mit einigen Mühen die Zufahrt zur ersten Schleuse gefunden hatte, konnte mit dem Schleusenwart eine Schleusung vereinbart werden. Wir waren überrascht. Wenig später trafen die Boote ein und wurden anstandslos geschleust. Nach der Schleuse ging es vorbei an der Regattastrecke von Bromberg und etlichen Ruderclubs. Allerdings ging es nun die Brahe aufwärts. Ca 2-3km/h Gegenströmung auf 15km Länge. Vor der Stadt konnte man noch durch günstiges Kurvenfahren etwas machen, aber im Stadtzentrum ging das nicht mehr. Kurz vor der zweiten Schleuse winkte der Landdienst die Boote zur Mittagspause an ein Restaurantschiff. Leider war nur eine kurze Pause möglich da wir bei der nächsten Schleuse bereits telefonisch angemeldet waren. Es wurde kurz entspannt, bzw. die Altstadt bewundert bevor es weiterging. Direkt am Abzweig des Bromberger Kanals von der Brahe liegt die dritte Schleuse. Hier nahmen wir die Boote heraus und lagerten sie auf dem Schleusengelände. Keine 200m von der Schleuse lag unser Hotel. Ein modernisierter Plattenbau mit schönen und preiswerten Zimmern. Keine so gute Idee war es das Abendessen im Hotelrestaurants einzunehmen. Qualität und Quantität erinnerten eher an Deutsches Kantinenessen.
Pünktlich um 10 Uhr standen wir vor der Schleuse und wurden auch sofort geschleust. Nach Schleusenbuch die dritte Schleusung binnen der letzten 10 Tage. Dementsprechend war auch der Zustand der Schleuse. Sowohl im Schleusenbecken, als auch dahinter waren Entengrütze und andere Wasserpflanzen so dicht, dass die Boote Probleme hatten überhaupt aus der Schleuse herauszukommen. Die Schleuse war ansonsten ein beeindruckendes technisches Denkmal. Baujahr 1905 mit Wassersparbecken und nach Aussage der Schleusenwartin noch nie ausgefallen. Die nächsten drei Schleusen folgten in kurzen Abständen. Damit hatten wir die 16km lange Scheitelhaltung des Bromberger Kanals erreicht. Nach einigen Kilometern zweigt hier der Kanal zu Warthe ab, wir hielten uns weiter geradeaus Richtung Netze. Geradeaus ist hier wörtlich gemeint, der Bromberger Kanal hat keine Kurven. Der Kanal führt durch eine Sumpflandschaft und ist über weite Strecken komplett mit Entengrütze bedeckt. Teilweise ist die so dick das man kaum durchkommt. Auf der ganzen Kanalstrecke kamen uns 2 Segelboote unter Motor fahrend entgegen. Nach den ersten zwei Schleusen abwärts trifft der Kanal auf die Netze. Ein kleiner Fluss, der leider überhaupt keine Strömung bringt, aber immerhin war ab hier die Entengrütze nur noch an den Seiten und verstopfte nicht mehr den ganzen Kanal. Die letzte Schleuse von Naklo schafften wir leider erst nach 16 Uhr (Ende der Schleusenzeit), aber gegen doppelte Schleusengebühr wurden wir trotzdem noch geschleust. An der Schleuse von Gromadno durften wir unsere Zelte aufschlagen. Einzige nutzbare Einrichtung ein Wasserhahn mit Trinkwasser.
Heute gab es nur die Startschleuse, die einige Kilometer weiter liegende Schleuse war ausser Betrieb man ruderten einfach über das Wehr. Die Landschaft war beeindruckend eintönig. Man rudert durch ein riesiges Sumpfgebiet. Schilf so weit das Auge reicht. Ab und zu kann man am Horizont auf der einen oder anderen Seite Hügel erkennen, den Rand des Sumpfes, aber niemals sieht man an einer Stelle beide Ränder des Sumpfes, nur wenn der Fluss sich in grossen Bögen einem Rand nähert ist das möglich. Da es auf der gesamten Strecke nur drei Brücken gibt ist es natürlich schwierig den Landdienst heranzu dirigieren. Leider war das nötig da ein Stahlausleger unseres alten Empacher-Zweiers beim Rudern durchgebrochen war. Uli stand als Landdienst neben einer Brücke bis fast zu den Knien im Wasser um den demontierten Ausleger zu übernehmen. Die Boote hatten es danach nicht eilig das Ziel in Ujscie zu erreichen. Etwas irritiert hatte Ulis Aussage wir würden in der Feuerwache schlafen. Am Ziel angekommen legten wir an der Rampe der Feuerwehr an und quartierten uns in einen Saal im Obergeschoss der Feuerwache ein. Ein schöner Raum mit angrenzender Küche, das Gebäude neu saniert und um zur Dusche im Erdgeschoss zu kommen musste man den Feuerwehrautos vorbei gehen. Das ganze Quartier wurde uns kostenlos überlassen ohne das Uli auch nur einen Ausweis oder etwas ähnliches vorzeigen musste. Sowas klappt in Deutschland mit Sicherheit nicht. Der Ausleger war vom örtlichen Ultralight-Flieger repariert worden und machte den Eindruck als würde er länger halten als das Original.
Angesichts der Schleusenzahl und der Entfernung war das Erreichen der nächsten Ortschaft (Wielen) unrealistisch. Also sollte der Landdienst versuchen an einer der 7 Schleusen ein Quartier zu bekommen. Leider ging es weiter durch das riesige Sumpfgebiet und nachdem der Landdienst teilweise fast auf irgendeinem Acker steckengeblieben war und trotzdem nur eine Schleuse erreicht hatte war man etwas genervt. Das einzige Erfolgserlebnis war, dass zwar Mitarbeiter eines Fremdenverkehrsamtes in Polen nicht unbedingt Englisch können, aber dafür ein Bauer auf dem Feld in Deutsch Auskunft gab wo die Schleuse liege. Schliesslich bemerkten wir den Tarnungs-Trick der RZGW. Die Schleusen haben zwar die Namen von Orten am Backbordufer, von dort sind sie aber nicht erreichbar. Von den Orten am Steuerbordufer gibt es aber Zufahrten, teilweise sogar mit Hinweisschild! An der Schleuse Rosko konnten wir dann zelten. Leider wieder ohne Sanitäreinrichtungen. Unterwegs waren uns sogar einige Wasserwanderrastplätze aufgefallen. Alle ausgestattet mit Steg, Mülleimer und Volleyballfeld leider ohne Toilette. Aber wer braucht die schon ein Volleyballfeld ist schliesslich wichtiger....
Nun galt es die letzten 4 Schleusen auf der Netze zu überwinden. Bei einer Schleuse mussten wir ein bisschen warten bis die Schleusenwartin vom Kirchgang zurück war, aber wir kamen durch. Dafür war in der letzten Schleuse dann Schluss, er war mal wieder umtragen angesagt. Die Polen hatten eine Schubeinheit in der Schleuse geparkt. Was kommen auch so ein paar blöde Wasserwanderer und wollen schleusen, das ist aber auch lästig. Die Strecke Netze-Bromberger Kanal ist oder soll mit EU-Mitteln als europäische Verbindung touristisch erschlossen werden. Da muss sich wohl noch einiges ändern, speziell an der Einstellung der beteiligten polnischen Beamten. Nur Hinweisschilder am Ufer aufstellen was es im nächsten Ort angeblich alles gibt, oder Wasserwanderrastplätze ohne Toiletten sind da wenig hilfreich. Nun waren wir aber auf der frei fliessenden Netze und damit vor den intelligenten Einfällen weiterer RZGW Mitarbeitern sicher. Der Landdienst hatte 4 km vor dem geplanten Ziel in Drezdenko einen Reiterhof direkt am Wasser gefunden. Zimmer und Sanitäreinrichtungen waren Weststandard. Der Steg am Ufer hätten jedem Deutschen Ruderclub gefallen und das Restaurant war erstklassig. Dazu kam noch dass der Besitzer als er merkte das Deutsche eingecheckt haben dafür sorgte das beim Abendessen ein deutschsprachiger Kellner am Tisch stand. Eines der wenigen Quartier was man uneingeschränkt empfehlen kann, dazu kam noch dass es sehr preiswert war!
Am Morgen des nächsten Tages entluden sich heftige Gewitter, so dass der Start der Boote nicht so früh erfolgte. Bei leichten Nieselregen brachen wir dann schliesslich auf. Die frei strömende Netze abwärts bis nach Santok an der Einmündung zur Warthe. Das auf Hinweisschildern empfohlene Hotel gab es leider nicht, so dass wir auf der Warthe bis Landsberg weiterrudern mussten. Hier konnten wir zwar beim Kanuklub anlegen und die Boote lagern, aber eine Übernachtung war angeblich nicht möglich (oder nicht gewünscht?). Im völlig überteuerten Hotel Qubus wollte man 45 Euro pro Person haben, aber Ruderer sind bekanntlich schmerzfrei und erkundigen sich bei der Rezeption ob es hier auch billige Hotels gibt. Nachdem längeren Fussmarsch kamen wir dann bei unserem preiswerteren Hotel an.
Nun ging es in einem Rutsch die Warthe bis nach Küstrin durch. Beim allgemein empfohlen Cafe Canape schlugen wir unsere Zelte auf. Die im Flussführer versprochene Zimmerübernachtung bezieht sich leider nur auf ein Doppelzimmer und das war belegt.
Am folgenden Tag ging es auf die Oder raus und wir erreichten wieder Deutschland. In Hohensaaten wurden wir problemlos geschleust und am Abend trafen wir in Oderberg ein. Der Wasserwanderrastplatz in Oderberg ist ein bisschen klein, aber es gab Toiletten und einen überdachten Sitzplatz. Allerdings war der verlangte Übernachtungspreis eine Unverschämtheit, nach einigem Feilschen reduzierte er sich auf ein vernünftiges Niveau.
Heute ging es durchs Schiffshebewerk Niederfinow auf den Oder-Havel-Kanal. Das bedeutet eine spektakuläre Fahrt im Trog des Hebewerks und danach sehr unspektakulärer Kanal. Bis zur Marina Marienwerder, direkt gegenüber des Abzweigs zum Werbellinkanals. Hier konnten wir unsere Zelte aufschlagen.
Der folgende Kanaltag nach Berlin Heiligensee zerrte etwas an den Nerven. Nur unserer Rheinruderer meinte die Strecke sei doch nicht so schlimm. Alles Grün und viel Natur und immerhin habe der Kanal unterwegs 4 Kurven. Beim Ruderclub Saffonia kamen wir auf Bettenquartier gemütlich unter und zum erfolgreichen Abschluss der Fahrt gönnten wir uns ein gutes Abendessen im kroatischen Restaurant an der Dorfaue.
Am letzen Tag galt es dann nur noch die 33km bis nach Stahnsdorf zu schaffen. Für Patrick spektakulär durch Berlin zu rudern für die Einheimischen Heimatstrecke. Dank Martins unermüdlicher Arbeit erwartete uns bei der Ankunft der Kameramann des “Teltowkanals” (des örtlichen Lokalsenders) und 2 Reporter der Potsdamer Neuesten Nachrichten.
Fazit: Mit ca. 1060 km die längste Wanderfahrt die wir jemals gemacht hatten. Alle haben die Fahrt gut überstanden und sind schon heiss auf die nächste Sommerfahrt, die mal wieder nach Finnland führen soll.
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